Irgendwie sollte man ja immer an sich arbeiten, oder? Manchmal inspiriert einen ein guter Kumpel, oder sonst ein netter Typ, manchmal ist es halt Jimmy von Gegenüber. Ich erinnere mich an eine Begebenheit im Herbst. Da lag er auf seiner ausgefransten Kindermatratze. Faul und gemütlich. Aber es war Vormittag, normalerweise Jimmys Kampfzeit! Nachdem ich mich unter sein Gartentor durchgequetscht hatte, fragte ich ihn, warum er denn nicht schon längst auf Mäusepatrouille sei.
Da meinte er, heute sei doch Welttierschutztag, und da esse er a) keine Mäuse und b) überhaupt keine anderen Tiere. Das amüsierte mich. “Du Heuchler!” sagte ich, “Frisst das ganze Jahr über alles erdenkliche, was dir über den Weg läuft, und just an diesem einen Tag spielst du Papst?”
Es sei ihm c) völlig egal, was ich davon hielt, und außerdem ginge es d) ums Prinzip. Er sei nun mal Kater und viele Tiere fressen andere Tiere, aber hier handelt es sich um Respekt vor anderen Lebewesen und das Bewusstsein, dass wir alle auf dieser einen Erde zusammenleben. Das große Ganze halt, oder so.
Da ich diese spirituelle Seite von Jimmy noch nicht kannte, und mich alles Fremde befremdet, ging ich wieder meiner Wege. Ha, Welttierschutztag! Wenn es wenigsten Katzen-Kraul-Tag, oder Felice-Liebhab-Tag heißen würde. Aber so! Demnach war ja auch Nicki, der riesengroße graue Köter vom Nachbarsgrund ein Tier, das man respektieren musste. Nicki, der bei jedem Windstoß bellt, dem der Sabber aus allen Öffnungen tropft, und der nicht mal sein Hinterteil selbst reinigen kann?
Heute allerdings lag er ganz still da. Die Sonne fiel auf sein kurzes Fell und ließ es silbrig schimmern. Versonnen schleckte er an seiner Pfote und legte dann den großen Kopf mit den überlangen Schlappohren darauf. Er sah beinahe aus wie eine Statue. Komisch, dachte ich, so hab ich ihn noch nie betrachtet. Ich schlich möglichst leise am Zaun entlang, um ihn nicht zu stören. Am Fuße meiner Katzentreppe hatte wieder eine Spinne ihr Netz quer über zwei Sprossen gespannt. Egoistisches Ding, dachte ich mir, jeden Tag dasselbe!
Aber ich hielt inne. Die schwarze Spinne saß mitten im Zentrum und wartete wohl auf Beute. Wahrscheinlich wusste sie noch nicht, dass Welttierschutztag war. Sie hatte so seltsame Ausbuchtungen auf ihrem Körper, fast wie Warzen, vielleicht ihre Eier? Ich wagte ein für mein Gewicht äußerst halsbrecherisches Manöver und übersprang die ersten beiden Stufen. Pfuhh, geschafft. Kein Wunder, dass der Welttierschutztag nur auf 24 Stunden begrenzt ist, länger hält das ja keiner durch!
Von meinem Fenstersims aus überblickte ich mein ganzes Areal. In einem Busch bewegte sich etwas. Dicke, brummige, haarige Geschöpfe flogen von einer Blüte zur nächsten, als würden sie jedes Mal von einem Trampolin abspringen. Daneben, auf den Pflastersteinen, tummelte sich eine Ameisenkolonie. Ähnlich jener, die regelmäßig um meinen Futtertrog marschieren. Sie zerrten gemeinsam, zu zweit, zu dritt, ein Stück . . .Trockenfutter? Das muss ja ein langer Weg gewesen sein. Ich staunte!
Jimmy hatte recht, zumindest genauer hinzuschauen konnte nicht schaden. Außerdem gab es mir ein erhebendes Gefühl, mal nicht nur an mich zu denken. Das konnte ich ja ohnehin morgen wieder. Oder übermorgen. Oder das ganze Jahr über. Jimmy würde Augen machen, wenn ich ihm erzählte, wie brav ich war! Aber als ich die Katzentreppe runtersprang, vergaß ich leider, dass ja am Ende der Stufen…
Und da hing sie bereits, die schwarze achtbeinige Spinne, nur noch an einem Faden. Ich konnte ihr Gesicht nicht genau erkennen, aber ich glaube, sie fletschte mit den Zähnen. Ich war so zerknirscht, dass ich mitten durch den Blumenbusch sprang, worauf ich natürlich die Brummwesen aufschreckte, die dann ängstlich in alle Richtungen flogen. Gleichzeitig unterbrach ich wohl die Ameisenkolonne, denn sie ließen alle fünf Futterbrösel liegen und flüchteten. Nicki bellte laut. Ich Loser! Konnte ich denn nicht EINEN Tag aufpassen? Bei Jimmy angekommen war ich deprimiert.
Doch dann sah ich gerade noch, wie er seinem rotfelligen Kumpel Petzi eine auf den Zutz gab. Jimmy stand ein Büschel von Petzis Haar aus dem Maul, als sich unsere verschämten Blicke trafen.
“Na ja”, hießen diese wohl, “wir haben’s versucht. Aber niemand ist vollkommen!”
Die Katzenstories sind zwischen 2012 und 2016 im Magazin all4pets als regelmäßige Kolumnen unter dem Titel “Felices Tagebuch” – Katzenjammer erschienen. Link zum Magazin: