Erwischt

2024-01-30T17:58:54+00:00Von |Total Verkatzt|

Mein Bruder also. Es ist mir ein Rätsel, wie unterschiedlich sich zwei Menschen entwickeln können, die mit den selben, gefühlten 100, Katzen aufgewachsen sind.
Wir haben die gleichen Spleens, mögen beiden keinen Kümmel und bei Champignons müssen wir uns übergeben. Aber was Katzen betrifft, leben wir auf unterschiedlichen emotionalen Kontinenten.
Während ich mich beim ersten Anblick eines behaarten Katzenbuckels in die Hocke begebe und sämtliche Register des Anbiederns ziehe, sagt mein Blick: „Wo geht’s du hin, komm bitte her, lass dich doch knuddeln, mahh…!“
Mein Bruder ist da die Coolheit selbst, á la Marlon Brando, oder James Dean, oder auch Paul Newman. Wobei selbst dieser sich mit einer Katze eingelassen hatte. Zumindest auf dem heißen Blechdach…
Es ist nicht etwa so, dass mein Bruder Katzen grundsätzlich hasst. Sie sind ihm einfach nur komplett und vollständig schnurzpiepegal.
Und was ist der Dank dafür? Jener der Katzen, meine ich?
Sie lieben ihn, sie verehren ihn, sie lassen sich in keinster Weise von seinem uninteressierten Gehabe abschrecken. Es muss an seinem Geruch liegen. Oder zumindest an seiner Behaarung.

Doch letztens hat sich der Wind gedreht. Freunde haben uns zum Abendessen eingeladen. Langjährige Katzenfreunde, oder, was meinen Bruder betrifft, „Die haben Katzen?“ – Freunde.
Die dort ansässigen Exemplare sind zwei ultrastolze Maine Coon Katzen, rotbraun und graubraun, die eine cooler als die andere, und beide ständig beleidigt auf irgendwen oder irgendwas. Selbst ich habe schließlich meine kriecherischen Annäherungsversuche aufgegeben. Nicht ohne Ehrfurcht, zugegeben.
Wenn man die Wohnung betritt, sieht man sie niemals. Sie kommen nicht, sie laufen nicht davon, sie sind einfach nicht da. Irgendwann stehen sie dann plötzlich im Raum, präsentieren sich in Ecken, in Türrahmen oder hinter Dekorationsgegenständen. Man könnte sagen, sie erscheinen. Und wenn sie dann da sind, sehen sie weg. Immer weg, irgendwohin, nur nie zu mir, oder zu irgendwem.
Mein Bruder sah auch weg, wie immer. Er widmete sich genüsslich seinem Steak mit Speckbohnen und Babykarotten. Als just, praktisch aus dem Hinterhalt, die graubraune Schönheit auf meines Bruders Schoß sprang, sich einmal rundherum drehte und gleich darauf die Augen schloss.
Ich war baff. Alle waren wir erstaunt Ich war sowas von beleidigt!
Mein Bruder rückte etwas unruhig hin und her, konnte sich aber des warmen kleinen Körpers nicht erwehren. Die Dame blieb bis zum Dessert.
Beim Gehen beobachtete ich meinen Bruder. Ich folgte seinem suchenden Blick.
Und der versöhnte mich dann.
Ich kannte nämlich diesen Blick, und der besagte: „Wo ist sie hin, wann kommt sie her, darf ich sie streicheln, mahhh!“
„Tja“, dachte ich mir, „erwischt, mein Guter, willkommen in meiner Welt!“