Der Parkettmonolog

2018-11-26T17:57:18+00:00Von |Satiren|

Winterzeit ist Theaterzeit, alle sind froh und manche noch fröhlicher. Besinnlichkeit steht ganz oben auf der Liste. Außer, es gibt freie Platzwahl, dann sieht’s ein bisserl anders aus. Und das eine oder andere Mal kam mir schon vor, die Monologe der erhitzen Gemüter wie Spruchbänder über den echauffierten Köpfen zu lesen:

Das ist wieder ein Gedränge hier! Und heiß ist es und es muffelt! Meine Nerven liegen bereits blank. Und überhaupt: Freie Platzwahl, was für ein Unsinn. Wer das erfunden hat, muss ein Zyniker gewesen sein. Oder ein Sarkast. Aber wahrscheinlich ein Sadist.
Na ja, wenigstens bin ich schon seit drei Stunden hier und praktisch die Erste. Die drei Typen vor mir müssen noch von gestern übrig sein.
Endlich, die Türen gehen auf. Hey, was soll das? Natürlich hab ich eine Karte, ohne diese blöde Karte wäre ich ja gar nicht hier. Moment, die muss hier irgendwo. . . da, bitteschön Herr Platzwart, dankeschön, vielen, vielen Dank, dass in der Zwischenzeit 50 Gierige vor mir in den Saal stürmen konnten.
Aber jetzt schleunigst einen Sitzplatz ergattern. Was soll die Rempelei, Opi? Na warte! Haha, ja, tut weh, gell? Hm, wo wär’s mir denn genehm. . .? Da, ja, vierte Reihe ist gut!
Hä, schon besetzt? Da picken ja lauter gelbe Zetteln drauf, da muss schon einer da gewesen sein und Plätze vorreserviert haben. Hey, Wirtschaft, Schiebung! Also sowas, das hält man ja im Kopf nicht aus, jetzt steh ich Stunden vor dem Einlass im Foyer, lasse mich blöd vom Stubenpersonal anmaulen, ertrage den Schweißgeruch des Exemplars vor mir und dann muss ich feststellen, dass da schon wer reserviert hat. Das kann nur jemand vom Personal gewesen sein. Sicher bestochen. Pöbel! Na, dann nehm ich eben den da in der sechsten Reihe. Wunderbar, der Weg ist frei. Was zum. . .?
Ja, ja, dräng dich nur vor, du ananasfrisierte Botoxtussi! Wahrscheinlich hast deinen Seniorenausweis vorgezeigt.
Hoi, da links in der 10. Reihe, ist das . . . ? Ja, der ist frei. Jetzt nur nicht die Nerven verlieren und ruhig bleiben. Wenn ich nicht allzu sabbernd darauf zusteuere, bemerken die anderen den Platz womöglich gar nicht. Jetzt nur nicht hudeln, langsam, langsam gehen. . . Genau, so ist’s gut. Und. . .Check!
Da bekommt mich keiner mehr weg. Der gehört mir. Ätsch, besetzt, du Pilzkopf, setzt dir lieber ein Hauberl auf. Ist das da neben die Toilettentür? Na egal, wichtig ist die klare Sicht auf die Bühne, da muss ich gleich mal ein Foto machen. Wo ist meine Tasche?
Oh nein, die liegt jetzt vorne bei der Ananas. Ok, nur die Ruhe, das sind jetzt, sagen wir mal, drei Meter Luftlinie. Wenn ich mich über den Vordersitz beuge, die Hand ausstrecke, und vielleicht noch mit meinem Programm ein bisschen wackle. . . Ja, Mensch, seien Sie doch nicht so empfindlich, außerdem sollte hier drin ohnehin das Trinken verboten sein. Na, wenigsten hab ich meine Tasche. Und vor mir lediglich ein kleines Menschchen, das mir nicht die Sicht versperrt.
Tja, ein wenig heiß ist es schon, so ein Bier wär dann doch nicht schlecht. Unzureichende Vorbereitung, schwerer Fehler meinerseits. Draußen werden kalte Getränke ausgeschenkt, lecker schlecker, da kommt auch jemand mit einem Becher. Hören Sie, würden Sie mir vielleicht auch. . .? Oh, Sie waren das! Tut mir leid, aber hatte ihr Sakko nicht ohnehin schon einen Riss? Nein? Nun, dann genießen sie den Luftzug. Hey, bleib mir bloß vom Leib, du! Dann kein Bier.
Was riecht denn jetzt schon wieder so komisch. Ist das. . .? Also, mir fällt kein einziger Grund ein, warum ich bei einer Theatervorstellung eine Leberkässemmel mit Zwiebelragout in mich reinschlabbern sollte. Muss das denn sein, mein Freund? Pfui!
Na, da neben ist ja auch noch frei, setz’ ich mich halt eines weiter. Hoffentlich setzt sich vor mich nicht ein großer. . . Das glaub ich jetzt nicht, haben Sie nicht irgendwo noch ein Basketballspiel, Sir? Ist der Kopf echt? Super, endlich ein Platz und Herman Munster direkt vor mir! Wenigsten hat er so abstehende Ohren, da kann ich oberhalb und unterhalb durchschauen.
Irgendwie kommt mir mein Sessel wie ein Massagestuhl vor, da rumpelts immer. Auch gar nicht mal so angenehm. Mal sehen, was das ist.
Hey, du Rotzmädchen, könntest du deine ungewaschenen Erstklasslerfüße einem anderen ins Genick stellen? Nicht? Na warte! Wer sagt denn, dass deine Strumpfhosen nicht für was gut sind. Einmal bei den Zehen angezogen und über dem Sitz zusammengeknotet und fertig ist das Paket. Hey, was haben Sie denn! Sie hat angefangen! Dann hätten Sie sich das mal vor sechs Jahren oder so überlegt, wenn sowas dabei rauskommt!
Also, so hab ich mir das nicht vorgestellt, vorne Munster, hinten, Chucky die Mörderpuppe, links der Stinker und rechts das Klo. Ich glaub, das tu ich mir nicht an, ich hau ab.
Auch das noch! Gerald und Sara, die beiden haben mir noch gefehlt. Gerald quetscht sich jetzt sicher durch die Reihen zu mir und präsentiert mir seinen Bierbauch, während er ungeniert auf meinen Busen starrt, und ich kann dann wiederum nicht anders, als gebannt darauf zu warten, dass sein mittlerer Hemdknopf wegspringt. Und Sara ruft sicher quer über die Reihen zu mir “Huhuuu! Gut schaust aus. Immer Diät is‘ ja auch net lustig, oder?”
Das brauch ich heute echt nicht. Mist, jetzt haben sie mich entdeckt, da hilft nur die Flucht nach vorne.
“Ja, grüß euch! Nein, nein, ich war schon gestern, hatte nur mein Tascherl vergessen. Ihr sucht Plätze? Ja dumm, das mit der freien Platzwahl, aber da, neben der schönen Holztüre mit den Mantschgerl drauf, vor dem süßen kleinen Mädchen, neben dem eleganten Bauarbeiter und hinter dem Schauspieler sind noch zwei Plätze frei! Nein, nichts zu danken! Gerne. Viel Spaß noch euch beiden!”

. . .aber vielleicht brauche ich ja auch eine Brille!