Chucky – der Mördergurt

2018-10-17T15:42:55+00:00Von |Satiren|

Es ist ja praktisch noch Sommer. Und Sommerzeit ist Urlaubszeit. Aber was wäre die Urlaubssaison ohne eine liebe, idyllische Urlaubsgeschichte? Und da kommt sie schon!

Manipuliert von einigen schönen Sonnentagen haben mein Mann und ich beschlossen, ans Meer zu fahren und zwar gemeinsam mit unserem Freund Monti. Monti, der eigentlich ganz anders heißt, ist ein urgesteiniger Montenegriner, der vor Jahrzehnten in unser Land kam, einige Kinderlein in die Welt setzte und nun stolzer Bürger dieses Landes ist. Nichtsdestotrotz wallt in seinen Adern nach wie vor serbokroatisches Blut, dick wie Ajvar und erwärmend wie ein vertrauenswürdiger Händedruck. Monti kann nichts aus der Ruhe bringen. Sein Leitsatz ist “Comme ci, comme ca”. Und sollte neben ihm ein Raumschiff landen und kleine grüne Männchen herausspringen, hält er sich wahrscheinlich nur die Ohren zu und sagt: “Na so ein Lärm, da kann ja keiner entspannen!”

Nun gut, wir wollten also zu dritt in den Süden reisen. Nicht nur, weil es immer förderlich ist, einen Einheimischen dabei zu haben, sondern einfach, weil wir Monti wirklich mögen.
Etwa sechs Stunden Fahrtzeit warteten auf uns. Monti hatte uns gedrängt, doch sein Auto zu nehmen. Das gefiel uns gut, denn in unserem Vehikel hatten lediglich 2,5 Personen und ein Fingerhut voll Gepäck Platz. “Allerdings mag ich nicht fahren, fahrt ihr!” meinte er.
Uns auch recht, dachten wir.
Doch wir baten ihn, vor der Reise zur Werkstatt zu fahren und einen Check durchführen zu lassen, denn im Ausland eine Wagenpanne zu haben, vielleicht noch mitten in der Pampa, war uns unangenehm, auch wenn Monti des Landes Sprache mächtig war.

Frisch geputzt und gestriegelt machten wir uns morgens bei Monti auf.
Der setzte sich ans Steuer und sagte: “Ich fahre bis zur Grenze“, dann könnt ihr weiterfahren.”
Als wir aus seiner Hauseinfahrt auf die Straße bogen, ertönte ein nicht unbekanntes “Bing, bing BING!”.
Ah, ich hatte vergessen, mich anzugurten! Allerdings hörte das Bing auch dann nicht auf. Mein Mann blickte schuldbewusst, auch er wollte sich angurten, war es aber bereits. Blieb nur noch Monti. Der sagte nach einigen Sekunden etwas zerknirscht:
“Ähm, ja, der Fahrergurt hat da einen Wackelkontakt, man muss da nur ein bisserl hin und her.” Er fummelte etwas herum, dann war das Bingen verschwunden. Tja, solche Wackelkontakte haben‘s in sich.
Wir begannen uns über das Wetter, die Straßen in Kroatien, Zippverschlüsse und Abführmittel zu unterhallten, so ganz allgemein. Bei der Auffahrt auf die Autobahn hörten wir wiederholt das “Bing, bing, bing”.
Monti fuchtelte an seiner Leine, drückte, presste, dann war es wieder still.
“War das in der Werkstatt auch schon so?”, fragte mein Mann.
Monti schwieg und wurde er ein wenig rot: “Hm, ja, das mit der Werkstatt, das ist sich nicht mehr ausgegangen.” Und dann fügte er möglichst rasch hinzu: “Aber ich war vor drei Monaten beim Service. Alles picko bello, könnt ihr mir glauben. Keine Sorge!”
“Aha”, sagte mein Mann
“Mmmpf”, dachte ich.
Das war unser Monti, comme ci, comme ca. . .
In der nächsten Stunde hatten wir Ruhe und vergaßen die Anschnallsache. Nach der Grenze übergab unser Montenegriner meinem Mann das Steuer und setzte sich auf den Beifahrersitz. Bald plauderten wir wieder über dies und jenes. Dann kam die erste Abfahrt. Als mein Mann das Steuer leicht nach rechts drehte, meldete sich Bing.
Hier beschloss ich erstmalig, den Gurt Chucky zu nennen, ganz in Anlehnung an Chucky, die Mörderpuppe. Ein Horrorfilm aus längst vergangenen Tagen, in dem eine harmlos aussehende Puppe plötzlich zur angstschweißtreibenden Bestie wird.
Chucky bingte, während mein Mann sich auf die Straße konzentrieren musste. Monti meinte, er solle sich nicht irritieren lassen, er mache das schon. Er drückte Chucky fest in die Halterung und blieb dann mit seiner Hand drauf. Das half offensichtlich. Chucky verstummte.
“Das gibt’s ja nicht, dass du das bis gestern nie gemerkt hast”, sagte ich zum Montenegriner. Der gab schließlich zu, dass ihm das Bing schon einige Zeit aufgefallen war, dieses ertönte aber so selten “das hab ich dann gar nicht mehr gehört”, meinte er humorig.
“Wie kann man das nicht hören?”, fragte ich humorlos.
“Kann man das nicht abschalten, gibt’s kein Handbuch?”
Monti drehte sich ein wenig zu mir nach hinten, während er versuchte, den Druck auf den Gurt nicht zu verringern.
“Doch schon, das Handbuch ist bei meinen Dokumenten. Bei mir zu Hause, im Keller. . .”
“Aha”, sagte ich.
“Mmmpppf”, dachte mein Mann, das sah ich ihm an.
Wenn ich mal beginne, investigative Fragen zu stellen, die deren Antwort schon in sich tragen, und mein Mann in sich hinein schweigt, ist das ein recht guter Stimmungsbarometer. Allerdings nicht für jeden. Monti zum Beispiel war eingeschlafen. Er erwachte erst, als wir bei der nächsten Straßenabzweigung waren. Da meldete sich Chucky wieder. Montis Händedruck musste im Schlaf etwas nachgelassen haben oder Chucky änderte wohl nicht gerne die Richtung, vielleicht bevorzugte er das Gerade, das Schlichte. Chucky hasste wohl Veränderungen. Und ich hasste Chucky.
Monti wollte ich nur erwürgen. Mit Chucky.

Als Monti vom Geschrei des Kleinen erwachte, drehte er sich komplett zu mir um, um mal die Hand zu wechseln. Er drückte also mit dem rechten Finger auf Chucky und saß unnatürlich verdreht da. Aber Chucky gab nicht auf. Da erblickte ich im Ablagefach ein Papierschirmchen, so eines, das in lustigen Cocktails manchmal zur Deko drinsteckt. Ich nahm es und versuchte den Holzstiel wie einen Zahnstocher neben Montis Finger in den Gurt zu stecken. Chucky gab Ruhe. Allerdings nur so lang ich meine Hand nicht wegzog. So fuhren wir also. Monti, mit seiner Hand am Gurt, ich, vorgebeugt mit dem Cocktailschirm am Drücker und mein Mann, dem wir beide dermaßen auf die Pelle rückten, dass ihm der Schweiß auf der Stirn stand. Er hob den Arm und wollte die Klimaanlage einschalten.
“NEIN!”, schrien Monti und ich gleichzeitig.
Und schon ertönte wieder Chuckys Bing, diesmal noch lauter, wie mir schien. Aha, Klimaanlagen mochte Chucky also auch nicht! Mein Mann wollte das Fenster öffnen, aber auf der Autobahn klang der Luftzug dermaßen laut und enervierend, dass wir gleich auch Chucky hätten schreien lassen können.
Schweißüberströmt fuhren wir nach insgesamt drei Stunden Fahrt bei einer Raststation ab, denn Monti musste aufs Klo. Und wenn Monti musste, dann musste er auf der Stelle. “Comme ci, comme ca” kam hier offensichtlich nicht zum Tragen. Als er hinter der weißen Klotüre verschwunden war, platze ich heraus:
“Am liebsten würde ich Monti alleine weiterfahren lassen und zum Meer trampen! Das hält ja keiner aus! Wieso ist er nicht in die Werkstatt gefahren? GrrrrrrrrrrrrrrRRRRR!!”
Mein Mann wollte mich beschwichtigen: „Das ist halt unser Montenegriner, sei nicht zu hart mit ihm, ihm machen solches Sachen eben nichts aus, das dürfen wir ihm nicht so übel nehmen!“ Und dann etwas leiser: „Kannst du jetzt bitte fahren, ich brauch ein kaltes Bier. Einen Liter davon!“

Zurück im Auto legte ich den ersten Gang ein und fuhr langsam über den Parkplatz. Monti hatte sich auf den Rücksitz verfrachtet, ich glaube, seine Hand war eingeschlafen. Erst als wir schon wieder auf der Autobahn waren, meldete sich Chucky und ich realisierte, dass ich gar nicht angeschnallt war.
Ich gurtete mich an, aber Chucky schrie. Mein Mann drückte, Chucky schrie! Ich klopfte auf die Armatur, vielleicht gab es ja dort einen Wackelkontakt, Chucky schrie noch mehr.
Wir schwitzten, Chucky schrie. So ging das eine gefühlte Ewigkeit, bis mir etwas einfiel, was mich wohl schon die ganze Zeit unterbewusst beschäftigt haben musste.
“Am Parkplatz bin ich doch unangegurtet gefahren. Da gab es aber kein Bing. WARUM?”
Da meinte Monti so nebenher: „Unter 20 km/h gibt es keine Meldung.“
Und dann etwas aktiver: “Könnt ihr bitte bald mal stehen bleiben, ich muss aufs Klo!”
Mein Mann und ich sahen uns an, dann hatten wir gleichzeitig eine Idee.

Ich ging vom Gas und stellte den Tempomat auf exakt 19 km/h ein.
Chucky verstummte. Dann öffneten wir die Fenster, denn bei der niedrigen Geschwindigkeit konnte man die Frischluft ganz wunderbar genießen. Monti schwieg. Chucky schwieg. Es war herrlich. Mein Mann und ich begannen uns urlaubsmäßig zu unterhalten, während Monti hinten im Wagen saß und wohl schon verzweifelt hin und herrückte. Bei einer Geschwindigkeit von zwanzig Stundenkilometer war JEDE Raststation weit entfernt. Aber was soll’s, ein wenig Strafe musste sein.
Nach genau einer Stunde gemütlicher Fahrt am Pannenstreifen und mit einem bleichgelben Monti am Rücksitzt, der sich schuldbewusst nicht getraut hatte, Einspruch zu erheben, kamen wir bei der Raststation an. Monti verschwand hurtig und wortlos.
Währenddessen bestellten mein Mann und ich uns gemütlich ein kaltes Bier, das wir schon ausgetrunken hatten, als Monti wieder kam. Die “yellow brick road” war wohl lange gewesen. Wir nippten schon am nächsten.
“Wir haben Alkohol getrunken und können nicht fahren. Leider! Bitte fahr du.”
Monti stieg ins Auto und drückte aufs Gas. Natürlich ertönte Chuckys Stimme sogleich, aber was machte das schon. Endlich hatten wir die montenegrinische Lebenseinstellung begriffen. Chucky hatte es uns beigebracht:
Einfach einen Gang runter schalten, dann kommt das “Comme ci, comme ca“ ganz von selbst. . .