Kürzlich musste ich mich arbeitstechnisch weiterbilden. Etwas für die ganze Familie. Zumindest wenn man jemanden zum Üben hat. Der Kurs hieß “Unterstützung bei der Basisversorgung”, kurz UBV, und befasste sich mit allen grundlegenden pflegerischen Belangen, die im sozialen Arbeitsbereich relevant sein können. Eine zweiwöchige Blitzeinschulung, die ich toll fand. Mein Mann weniger. . .
Gleich am Anfang erklärte unsere Vortragende, dass wir den praktischen Teil möglichst viel mit unseren Ehemännern üben sollten. Das hat sie natürlich so nicht gesagt, aber ich gab es meinem Mann so weiter, ich benötigte ja ein Versuchsobjekt. Wen hätte ich denn sonst nehmen können? Sollte ich etwa meiner Katze ein Netzhöschen anziehen oder die Vitalfunktionen kontrollieren?
Am Abend des ersten Kurstages fragte ich meinen Mann, ob ich ihn denn vom Krankenbett in den Rollstuhl transferieren dürfe.
Er stutzte kurz, dann meinte er, wir hätten kein Krankenbett und auch keinen Rollstuhl, demnach laute die Antwort ‚Nein‘.
“Jetzt eh nicht in echt, halt nur aus dem Bett auf einen Sessel”, sagte ich.
Er blickte zwar etwas skeptisch, legte sich dann jedoch kommentarlos aufs Bett.
“Du darfst aber nicht mithelfen, du musst so tun, als ob du dich nicht bewegen könntest!”
Und so tat er, fies wie er war.
Es wurde eine Mordsprozedur, bis ich ihn überhaupt einmal in aufrechter Haltung hatte. Dann versuchte ich ihn mit Schaukelbewegungen, wie wir es im Kurs gelernt hatten, ans Bettende zu manövrieren. Man Mann blickte nicht gerade glücklich drein, aber ich konnte auch wirklich nichts dafür, dass unser Parkettboden so glatt war und der Sessel wegrutschte, als ich ihn hineinhieven wollte. Aber weh hat er sich nicht getan, das Bett war recht nieder.
“Vielleicht übst du das morgen in der Schule noch ein bisserl”, meinte er und rieb sich die Hüfte.
“Das ist keine Schule, das ist eine AUSBILDUNGSEINRICHTUNG!”
“Dann übst du halt dort mit deinen Schulkameraden”, lachte mein Mann und ließ mich stehen.
Ich hatte das Gefühl, beleidigt sein zu müssen, um den Spannungsbogen für morgen aufrecht zu erhalten. Das half aber auch nix.
Denn am nächsten Abend fragte ich ihn, ob ich ihm ein geschlossenes System anlegen könne.
“Meinst du so eine ‚Ich hab mich lieb Weste‘ aus der Psychiatrie?” fragte er neugierig.
“Nein, das ist der korrekte Begriff für eine Windel!”
“Aber sicher nicht!” meinte er, jetzt weniger neugierig.
“Büüüüütttte!” raunzte ich.
“Schupfst du mich dann auch wieder auf den Boden?”
“Aber nein, das findet alles im Bett statt, ist ungefährlich. Du darfst auch deine Hose anlassen!”
Um mein folgendes Jammern zu verkürzen, lenkte er ein.
Blöd war nur, dass ich lediglich eine Windel in Größe “small” vom Kurs mitgenommen hatte, die ging nicht um seine Jeans herum.
“Könntest du nicht eventuell doch die Hose. . .?”
“Niemals!” Und weg war er.
Na ja, morgen musste ich es diplomatischer angehen.
Am folgenden Abend saßen wir vorm Fernseher, als ich ihn süßlich fragte: “Soll ich dich ein bisschen basal stimulieren?”
Seltsamerweise setzte er sich sofort aufrecht hin und blickte erwartungsvoll.
Ich schaltete den Fernseher aus, platzierte mich neben ihn, legte meinen Arm um ihn und dann. . . dann schaukelte ich ihn sanft hin und her.
Er wirkte ein wenig, wie soll ich sagen, belämmert?
“Darf ich dir die Augen verbinden?” fragte ich nun.
Er nickte, nicht mehr ganz so begeistert. Ich wickelte ihm meinen Schal um die Augen und dann hielt ich ihm ein Duftfläschchen unter die Nase.
“Pfuui, was ist denn das?” rief er.
“Das ist Lavendelöl!”
“Aber ich hasse den Geruch von Lavendel, was soll denn das bringen?”
“Auch eine negative Stimulation ist eine Stimulation. Da geht’s ja um die Aktivierung deiner Sinne!”
“Ach du liebe Zeit!” schnaufte er.
“Warte, das nächste magst du sicher!” leitete ich den folgenden Versuch ein.
“Hm, das ist, das ist. . . , warte, Orangenöl!”
“Super!” versuchte ich möglichst lobend zu zwitschern.
Dann hielt ich ihm etwas anderes hin.
“Ähm”, meinte er zögernd, “das riecht irgendwie komisch, was ist das?”
“Das sind deine Socken vom heutigen Arbeitstag!” prustete ich heraus und kugelte mich vor Lachen.
Das fand er nicht so lustig. “In Zukunft kannst alleine üben”, sagte er noch.
Glücklicherweise nahmen wir nun die Ausscheidung durch. Ich kam mit drei Teststreifen nach Hause.
“Duuu? Darf ich bei dir eine Stuhlprobe durchführen?”
Mein Mann hatte sich wohl vorgenommen, künftig einfach gar nicht mehr zu reagieren, aber mit meiner Frage hatte ich ihn nun doch aus dem Konzept gebracht. Er schaute mich an, als hätte ich mich vor seinen Augen in ein geschlossenes System verwandelt.
“Nein.”
Ich kannte meinen Mann gut genug um zu erkennen: Das war endgültig!
Als er später den Raum Richtung Toilette verließ, schlich ich ihm nach. Durch die geschlossene Tür fragte ich zaghaft: “Magst mir wenigstens sagen, welche Farbe dein Stuhl hat?”
Als keine Antwort kam, legte ich nach: “Ist er eher gelblich grün? Dann leidest du wahrscheinlich an Typhus abdominalis. Oder ist er eher schwarz? Dann trinkst du zu viel Rotwein!”
Nach einigen weiteren Sekunden Stille schrie mein Mann: “Ich muss nur pinkeln! Oder möchtest du wissen, in welchem Winkel der Strahl in die Muschel trifft?”
“Nein, aber welche Farbe dein Urin hat, kannst mir sagen!” rief ich beleidigt.
“Biergelb mit steakroten Punkten und rotweinroten Querstreifen!”
Sein Humor schien mir in dem Moment ziemlich entbehrlich.
“Schau lieber, dass dein BMI nicht über 30 geht, dann bist nämlich adipös!” konterte ich, “das heißt fettleibig, falls du es nicht weißt!!”
Es kam das Wochenende, da konnte er sich wieder beruhigen.
Anfang der folgenden Woche fragte ich ihn:
“Du hast sicher einen schweren Tag gehabt, soll ich dir die Füße massieren?”
Au ja, das wollte er schon!
Ich bettete sein linkes Bein auf einen Polster und begann. Irgendwann holte ich verstohlen eine braune Wickelrolle hervor und meinte, ich könne ihm bei der Gelegenheit doch gleich den Fuß einbandagieren.
“Das ist fast wie Massieren nur ohne Hände!”
Leicht genervt, weil ich ihn wieder drangekriegt hatte, ließ er mich gewähren.
Ich wickelte so, wie ich es im Kurs gelernt hatte, immer in Fischgrätenart bis übers Wadel.
Irgendwann fiel mir auf, dass die Zehen meines Mannes recht bläulich waren.
“Tun dir die Füße weh?” fragte ich.
“Nein. Ich spür sie nicht mehr!”
Oje, ich hatte zu fest bandagiert. Schnell lockerte ich das Band. Der Unterschenkel meines Mannes hatte weiß rote Striemen.
“Siehst du, so soll man es nicht machen, denn man muss immer schauen, dass der Fuß gut durchblutet werden kann!”
“Was von dem, wie man es NICHT machen soll, musst du eigentlich noch üben?”
Mein Mann war komplett humorlos geworden.
Ich ließ ihn einige Tage in Ruhe. Dann fragte ich gerade heraus:
“Du, darf ich dich einmal füttern? Ich meine natürlich ‚Essen eingeben‘.”
“Wofür soll das gut sein?” erwiderte er.
“Na ja, ich muss das ja üben!”
“Du übst das ja tagtäglich bei dir selbst!”
Ich überlegte, das hatte Logik, wo er recht hatte, hatte er recht!
“Darf ich dir dann die Zähne putzen?”
“Dito!” sagte er.
“Göööööö. . . “
Tatsächlich ließ er sich noch ein letztes Mal erweichen. Es wurde ein Desaster.
Aber wer kennt schon das Gebiss eines anderen und die Höh(l)en und Tiefen. Das war echt nicht leicht. Nach den ersten Würgegeräuschen ließ ich es bleiben.
Am Ende der zweiten Woche kam ich hocherfreut nach Hause.
Mein Mann stand gerade unter der Dusche. Als ich mich daneben hinstellte und durchs Milchglas guckte, stellte er das Wasser ab und rief über die Duschwand:
“So, nur damit du es weißt: Mein BMI ist genau richtig. Meine Nahrung besteht zu exakt 7% aus Fleisch und Wurst, zu 30% aus Kohlehydraten, zu 18% aus Milchprodukten und zu 26 % aus Gemüse. Der Rest ist ebenfalls ungefährlich. Zähne sind stabil, Essen und Trinken eingeben ist also redundant. Mein Stuhl ist normalfärbig und nicht übermäßig übelriechend. Meine Miktionshäufgkeit bewegt sich im durchschnittlichen Rahmen bei 200 bis 400 Milliliter pro Portion. Der PH Wert ist unauffällig. Ich habe keinen Eisen- oder Vitaminmangel, daher leide ich auch nicht unter Onychoschisis oder Koilonychie. Meine Schweißsekretion ist normal. Bei der Körperpflege bevorzuge ich Wasser-in-Öl-Emulsionen, dadurch wird meine Haut nicht zu trocken. Tromboseprophylaxe durch Bandagieren ist derzeit noch nicht notwendig. Und durch meine häufigen Bewegungen beim Schlafen besteht auch kaum eine Dekubitusgefahr. Systole und Diastole sind im Rahmen und Antidiabetika sind vorerst auch nicht nötig.
Einzig meine emotionale Verfassung ist derzeit etwas labil, das wächst sich aber eventuell noch aus.”
Damit schloss er seinen Monolog und duschte weiter.
Ich grinste anerkennend und hielt ihm kurz mein frisch unterschriebenes UBV-Zeugnis über die Duschtüre.
“Lust auf eine olfaktorische basale Stimulation?” fragte ich, “Gemma zur Feier des Tages was essen?”
Und er darauf: “Nur wenn ich es dir eingeben darf!”