Buttermilch und Kinderwunsch

2019-01-27T15:58:39+00:00Von |Satiren|

Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen. . .  Sie kennen ja den Spruch. Früher oder später wird das Thema Nachwuchs wohl für jeden relevant. Für die einen ist Kinder in die Welt zu setzen eine Selbstverständlichkeit, die keiner weiteren Rede bedarf. Für andere gilt das Gegenteil. Manchmal quetscht sich das Thema auch quasi ins Leben. Entweder weil mit sechzehn auf dem heimlich gekauften Schwangerschaftstest der zweite blaue Streifen sichtbar wird, oder weil man es jenseits der 40, sich in der Sicherheit der eigenen Betagung wiegend, mit Verhütung nicht mehr gar so genau nimmt.
Und dann gibt es noch jene, die sich der Sache pragmatisch, logisch und vernünftig nähern, um dann zum Ergebnis zu kommen: Lieber mal abwarten.

Meine Freundin und ihr Mann gehören dazu, dachten sie zumindest.
Begonnen hat der “Überlegungsprozess”, als beide bei einem Sonntagsspaziergang an einem Zaunpfeiler ein Paar verlorene rosa Kinderhandschuhe hängen sahen. Diese retroartigen Strickdinger, die mit einem Band verbunden sind, damit, wenn schon, wenigstens gleich beide Teile verloren gehen. Ich hatte als Kind die gleichen, vielleicht waren‘s sogar dieselben, ich habe meine schon lange nicht mehr gesehen. . .
Auf jeden Fall löste dieser Anblick bei beiden einen derart emotionalen Schub aus, dass sie beschlossen, das Thema Kinder nun ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Allerdings switchten sie von da an regelmäßig hin und her zwischen “ganz sicher” oder “niemals”.

Wenn meine Freundin etwa morgens, noch gänzlich ohne Koffein im Blut, in der Straßenbahn saß, und sich hinter ihr gefühlte tausend Schulkinder auf die Plätze zwängte, schubsten und kreischten: Niemals!
Dann aber hielt ihr am Parkplatz das zehnjährige Mädchen mit dem süßen Strickkleid die Autotür auf, damit sie ihre Einkäufe verstauen konnte: Ganz sicher!
Dummerweise erzählte zeitgleich ein Arbeitskollege ihrem Mann von dessen Sohn, Mitte dreißig, der nach Beendigung seiner letzten viermonatigen Beziehung wieder zu Hause wohnt und nun eine Trauerphase bei Muttern einlegt. Aber er arbeite sehr fleißig im Garten, um die Arbeitslosigkeit zu überbrücken.
Und so wateten sie im Gefühlscocktail dahin, bis sie beschlossen: Lieber mal abwarten.

Nun ja, irgendwann stand meine Freundin dann bei der elendslangen Kühlvitrine eines Lebensmittelgeschäftes, beladen mit zwei Magerjoghurts, einer Flasche Buttermilch, Margarine und laktosefreiem Käse, und blickte sich suchend nach ihrem Mann und dessen rettendem Einkaufswagen um, als sie plötzlich spürte, wie sich etwas Warmes an ihren Oberschenkel drückte. Überrascht blickte sie hinunter und sah zunächst nur einen brünetten gekringelten Haarschopf. Ein kleines Mädchen, nicht älter als zwei Jahre, hatte sich hilfesuchend an ihr Bein gekrallt. Dann hob es den Kopf und sah sie mit kugeligen dunklen, verweinten Augen an, bis sie in Sekundenbruchteilen den Irrtum bemerkte und einige Meter weiter zu einer Frau huschte, die meine Freundin entschuldigend anlächelte, während sie das Mädchen in den Arm nahm. Verdutzt und etwas verklärt blickte meine Freundin den beiden nach. Die Kleine hatte sie ob der ähnlichen Kleidung wohl für ihre Mutter gehalten.

Und da sei irgendwas mit ihr geschehen, hat sie mir später erzählt.
Diese vertränten Augen haben etwas in ihr zum Schwingen gebracht, etwas Neues. Plötzlich kreisten ihre Gedanken nicht mehr darum, wie schön denn ein Kind in IHREM Leben wäre, wie erfüllend für IHR Dasein, wie SIE sich denn fühlen würde. Nein, erstmalig erspürte sie, wie es wäre, für ein Kind da zu sein, Mutter zu sein, Schutz zu bieten, und wie das Kind sie wohl selbst als Mutter empfinden würde. Diese warmen kleinen Hände, die in dem Moment nichts anderes wollten, als bei Mami zu sein, hatten sich direkt in ihr Herz gedrückt. Und plötzlich war nichts mehr unklar, alles war leicht und selbstverständlich.

Eine hübsche Geschichte, die sie auch unbedingt ihrem Mann erzählen wollte, man weiß ja nie. Allerdings hatte ihm zuvor sein Nachbar anvertraut, wie er gerade entdeckt habe, dass sein hochnotpubertierender Sohn in einer versteckten Ecke des Grundstückes einen kleinen Marihuanagarten gepflanzt hatte. Und dann dachte meine Freundin sich: Lieber mal abwarten.