Vor einigen Monaten hatte ich beschlossen, einen Spanischkurs an der Volkshochschule zu besuchen. Eigentlich weiß ich gar nicht genau, warum. War es Javier Bardem? War es „Vicky, Christina, Barcelona“? War es der chilenische Rotwein, der mir zu Kopf gestiegen ist?
Wahrscheinlich war es lediglich der AK- Bildungsgutschein, den ich auf Biegen und Brechen endlich mal einlösen wollte. Alle um mich herum bildeten sich weiter, jeder musste abends nach der Arbeit noch „zum Kurs“ und seufzte dabei geschäftig. Da fühlt man sich ein bisschen dumm, wenn man nicht auch zumindest den Computer Kurs XY, Level 9 mit Aufbaustufe 13 besucht. Man will ja schließlich dazu gehören. Und da außer „Rumänien in aller Munde“, übrigens ein Kochkurs, nur mehr “Spanisch für mäßig Berufstätige” frei war, entschied ich mich für letzteren.
Der Unterricht fand in einer Volksschule statt. Außer mir waren noch sieben andere mit von der Partie. Erna, eine rüstige Mittfünfzigerin, drei kichernde Frauen um die zwanzig, ein etwa hundertjähriger Greis und seine jugendliche Freundin mit achtundsiebzig, und Pepi. Pepi war ein unscheinbarer Rentner mit graumeliertem Oberlippenbart. Eher zurückhaltend, aber freundlich und tatsächlich an der Sprache interessiert. Während wir anderen versuchten, den spanischen Nativspeaker, der verdächtig nach Antonio Banderas aussah, mit unseren Augen zu beklimpern, lernte Pepi fleißig Vokabeln.
Nach einigen Wochen gab es dann eine kurze Unterbrechung, weil Antonio nach Hause zu Frau und Kind musste, was uns Damen etwas irritierte. Nach zwei Wochen war er wieder da.
Ich kam etwas zu spät zur Stunde. Als ich in die Klasse trat, waren schon alle emsig beim Tüfteln. Ich setzte mich hinter einen dunklen Haarschopf, den ich nicht kannte. Aha, dachte ich, das muss ein Neuer sein. Bis er sich zur Seite drehte. Es war Pepi! Josef, Guiseppe, egal. Es war PEPI mit gefärbtem Haar. Vielleicht wäre es mir nur mäßig aufgefallen, wenn mir nicht grundsätzlich gefärbte Haare bei Männern sofort ins Auge stechen würden oder wenn Pepis Haar nicht im krassen Gegensatz zu seinem Oberlippenbart gestanden hätte. Ich war geschockt. Da meinte auch noch Antonio, dass wir uns in Zweiergruppen zusammentun sollten, um die Dialoge zu üben. Oh Mann, bitte nicht Pepi, bitte nicht Pepi, bitte nicht. . .
“Na dann gehen’s wir gleich miteinander an, oder?” Pepi drehte sich lächelnd zu mir um. Mein Versuch, zurückzulächeln, scheiterte kläglich. Stattdessen glitten meine Mundwinkel in ein intensives Starren hinein.
“Como te llamas”, fragte Pepi. Er hatte gepaukt.
“Me jamma, ähm, me jammo. . .”
“Nicht jammo! llaaaaaamo, so wie Pyjama, nicht wie jammern”, klärte Pepi mich auf und eröffnete dann ein mehrminütiges Plädoyer für die spanische Aussprache.
Ich war dankbar für die Ablenkung. Mir gingen so viele tiefgreifende Fragen durch den Kopf. War er tatsächlich beim Friseur gewesen? Aber jeder Friseur, der auch nur ein klitzekleines bisschen Güte in sich trägt, hätte ihm von dem schoko-kuhmistfarbenen Dunkelgagabraun abgeraten. Oder hatte er etwa seine Frau zur Drogerie geschickt? Aber welche Frau, die nicht vorhat, sich in Bälde scheiden zu lassen, würde das wohl machen? Hätte Pepi weniger Haare gehabt, hätte er sich zusätzlich vielleicht noch ein Haarteil besorgt. Das wäre dann Pepis Pepi, ging mir plötzlich auf. Wahnsinn! Jetzt musste ich lachen. Pepi verstummte. “Was ist?” fragte er arglos.
Ich wurde wieder ernst und versuchte, konzentriert mit runzelnder Stirn, auf unser Übungsblatt zu schauen, um nicht länger Pepi anstarren zu müssen. “Das da, das ist mir nicht ganz klar.”
Offensichtlich muss die Prozedur erst vor Kurzem stattgefunden haben, da noch die Farbränder an der Kopfhaut zu sehen waren.
“Und wie war deine Woche?” fragte Pepi plötzlich mitten in meine Überlegungen hinein.
Oh nein, bloß kein Smalltalk! Ich kann dich doch nicht anschauen, Pepi, verstehst du das denn nicht?
Ich sagte verhalten: “Hm, danke, ging so, und bei dir? Alles Paletti?”
Oh Gott, hatte er verstanden? Paletti, Palette, Malen, Farben. . .?
Nein, er hatte nichts mitbekommen. Er antwortete. “Danke, auch gut, hab’ ein Entspannungswochenende hinter mir, mit Sauna, Massage. . .”
“Oh supa!”
“. . .und Friseur.”
Ich prustete los, gerade noch rechtzeitig konnte ich das in ein Husten umwandeln, das ich so extrem übertrieb, dass ich mich verschluckte. Pepi klopfte mir auf den Rücken.
“Geht’s wieder?” fragte er freundlich.
“Oh ja, danke!” Ich schämte mich und rief mich zur Ordnung. Pepi war ein netter Mensch und wenn ihm AA braunes Haar besser gefällt, als sein alterstreues meliertes Haupthaar, dann war das ja wohl sein gutes Recht.
“Ein bissl kürzer, hinten und an den Seiten. Da fühlt man sich gleich wieder freier!”
Pepi drehte sich wieder nach vorne, weil Antonio neue Grammatikkonstruktionen vorstellte. Den Rest der Stunde beherrschte ich mich. Ich musste mehr an mir arbeiten. Ich benahm mich kindisch, wie ein Schulmädchen, dessen Lehrerin einen Schokofleck am Kinn hat.
Am besten dezent darüber hinwegsehen. Nicht kichern, nicht grinsen, sondern schweigen und im Notfall husten.
Am Ende der Stunde hatte ich mich wieder soweit im Griff, dass ich „Tschüss Pepi“ sagen konnte.
Antonio rief unserem Pepi ebenfalls ein “Adios” hinterher. “Und deine gefärbten Haar sehen toll aus! Nur dein hellbraunes Hemd schlägt sich ein wenig damit.”
Pepi kam nicht mehr in den Kurs. Wochen später verriet mir Erna, dass Pepi ziemlich indigniert gewesen sei über Antonios Aussage. Noch nie hätte ihn jemand so brüsk beleidigt. Das Hemd sei nämlich ein Hochzeitsgeschenk seiner Frau gewesen!