Der Straßenverkehr, meistgeliebtes und gleichzeitig meistgehasstes Terrain überhaupt. Ich, als gesetzestreue Staatsbürgerin, bin immer erpicht darauf, alles richtig zu machen, ganz im Sinne des harmonischen Miteinanders. Ich will halt einfach brav sein. Leider, das müssen Sie bitte entschuldigen, bin ich nach wie vor unvollkommen, und tagtäglich unterlaufen mir Fehler.
Wie etwa jüngst. Das war wieder so ein Tag!
Angefangen hat es damit, dass ich bei Grün über die Kreuzung fuhr. Drüben angekommen, musste ich abrupt stehenbleiben, weil eine nette Dame über die Straße ging. Ich blickte auf ihre Fußgängerampel: rot. Die Autos hinter mir hupten, verständlicherweise. Sie: jung und fröhlich, kein Gehstock, kein Rollstuhl, nichts das auf verzögerte Fortbewegung hindeuten würde. Kein Zweifel, ich war korrekt unterwegs. Allerdings, nach meinem plötzlichen Stopp, warf mir die Lady einen derart finsteren Blick zu und schüttelte den Kopf, dass ich mich unmittelbar schämte. Wie konnte ich nur! Wie konnte ich sie mit meinem plötzlichen Bremsmanöver derart erschrecken! Sie trug hohe Absätze! Ich entschuldigte mich zerknirscht aus dem Fenster heraus. Ich musste wirklich besser aufpassen, bei Grün fahren und dann noch glauben, einfach fahren zu dürfen!
Wenig später bog ich in eine Siedlungsstraße ein, mit Dreißiger Beschränkung. Ich geb’s zu, manchmal fahre ich auch 32 oder sogar 33, wirklich nicht mit Absicht sondern aus Impuls. Hinter mir auf einmal ein böses Auto, mit bösen Scheinwerfern, jene, die einen von unten derart von oben herab anblicken. Das Auto, oder besser der Fahrer, hielt einen Abstand von etwa 0,3 cm. Ich war verwirrt. Ich fuhr mittlerweile 41 km/H und er klebte an mir wie die Fliege an der Kuh! Ich blickte in den Rückspiegel: Nervöses Gefuchtel, gefolgt von aggressivem Hupen. Ich verstand nicht. Dann verstand ich: Er hatte es eilig! Ich drückte auf die Tube, mein lahmfahriges Fehlverhalten tat mir wirklich leid. Während die Tachonadel auf 60 zusteuerte, hielt ich die Hand entschuldigend aus dem Auto. Als die Polizei mich aufhielt, war er schon lange nicht mehr zu sehen. Ich war froh, meine Schuld auch finanziell abdienen zu können.
Als ich in den nächsten Kreisverkehr einfuhr, hatte ich mich wieder soweit davon überzeugt, dass ich zwar fehlerhaft aber nicht gänzlich unnütz war. Bei der dritten Ausfahrt wollte ich dann … ausfahren. Allerdings gelang es mir nicht. Denn knapp vor mir scherte ein Auto ein. Aber ich hatte doch Vorrang, oder? Ich stoppte. Finster blickte ein motorisch sehr aktiver Mann in den Rückspiegel, deutete mit dem Zeigefinger auf die Stirn, dann mit dem Mittelfinger woanders hin. Ich wurde rot. Wie gut, dass er mich noch früh genug gewarnt hatte, wie gut, dass er beherzt einen Zahn zugelegt und es gerade noch geschafft hatte, meinem stümperhaften Gefahre zu entkommen. Als ich dann schlussendlich unverdient entweichen durfte, war ich nass geschwitzt. Auch ein Schwall der Dankbarkeit überkam mich. Mittel und Zeigefinger waren nur eine Minimalstrafe für das, was ich eigentlich verdiente.
Um mich zu sammeln, blieb ich beim nächsten Kaufhaus stehen und kaufte mir ein Bier, alkoholfrei natürlich. Wieder zurück am Parkplatz, verrichtete gerade ein Hund seine Notdurft an meiner Fahrertüre. Ich war versucht, dem Herrchen, das gelassen daneben stand, eine zu scheuern. Gerade noch rechtzeitig warnten mich die fletschenden Zähne des Köters. Wie umsichtig von ihm, wie egoistisch von mir! Der Parkplatz war doch für alle da, auch für volle Blasen. Ich stieg über die Töle hinweg, startete den Wagen und fuhr direkt zur Polizei. Nur eine Nachschulung würde mich wieder auf den rechten Weg bringen!
Tja, brav zu sein, das ist nicht schwer, brav zu werden dagegen sehr. . .
„Brav sein” ist im Magazin “grazIN”, Ausgabe 09/2018, erschienen: